Die heizenden Eigenschaften des Chilli

Chilli. Scharf und eindeutig ein Grund zum Schwitzen verbindet man sie oft mit den Tropen. Oft, aber nicht unbedingt zu Recht.

EisChilliDie Wissenschaft hat sich des Themas natürlich etwas genauer angenommen. Ein beliebter Gedankengang ist jener, dass Chilli antimikrobielle Eigenschaften hat, die doch besonders in den Tropen, wo Lebensmittel und vor allem Fleisch schnell verderben würden, von Vorteil sein müssten. Diese Hypothese ist recht gut etabliert, nicht zuletzt dank „Antimicrobial Functions of Spices: Why Some Like It Hot„, einer Analyse von Regionen und Rezepten von Jennifer Billing und Paul W. Sherman (publiziert in „The Quarterly Review of Biology“, Vol. 73, No.1, March 1998).

Es gibt nur ein Problem:

Schon bei Kolumbus‘ Reisen war nicht nur die Rede von einem Gewürz, das so scharf wäre wie Pfeffer (daher ja auch viele der Namen des Chilli, nicht nur im Spanischen), sondern auch davon, dass sich die dortigen „Ind(ian)er“ mit Hilfe dieses wärmenden Gewürzes durch die Winterkälte bringen würden. (Ich war einmal über die diesbezügliche Textpassage vom Expeditionsdoktor gestolpert, muss aber zugeben, dass ich diese nie wieder finden kann…) Von angenehmem Schwitzen ist jedenfalls keine Rede.

Zugegeben, es ist auch dies ein recht seltsames Argument, schliesslich ist die Karibik nicht gerade ein Ort, wo man sich winterlicher Kälte stellen müsste. Sieht man sich allerdings die Vorkommen des Chilli rund um die Welt (aber nicht unbedingt in publizierten Rezepten) an, so lässt sich allerdings eine Korrelation zwischen kühleren, oft auch höher gelegenen, Regionen und dem Chillianbau feststellen:

Im alten Peru etwa verband man Chilli anscheinend mit dem Amazonas-Tiefland (schliesslich hält der Kaiman – selbst eine Tiefland-Spezies – auf der Tello-Stele unter anderem Chilli in seinen Klauen). Es gibt jedoch sogar die Capsicum-Arten, die offenbar in den Anden entstanden und dort schon seit Jahrhunderten angebaut werden. Capsicum baccatum und Capsicum pubescens sind auch heute noch überwiegend in den Anden angebaute Arten; die dortige Küche nutzt diese auch gerne – und nicht nur im tropischen Tiefland.

Auch in Mexiko findet sich Chilli nicht nur in heisseren, (sub)tropischen Gefilden, sondern auch und gerade in kühleren Bergregionen im Landesinneren. Gerade der Chiltepin, der wahrscheinliche Urahn der heutigen Vielfalt innerhalb der Art Capsicum annuum, findet sich in den Halbwüsten von Nordmexiko und bis in den US-amerikanischen Südwesten, wo er durchaus auch manchmal Frost erleiden muss. Und die Einwohner dieser Regionen schätzen ihr Chilli, nicht nur im Sommer.

Diese Beziehung geht über die Ursprungsgebiete von Capsicum hinaus.

Interessant ist etwa – gerade auch, weil man eher weniger davon hört – dass das Chilli es auch nach Tibet, Nepal und Bhutan geschafft hat. Und es hat es nicht nur dorthin geschafft, es wurde mit solcher Begeisterung aufgenommen, dass Chilli schon 300 Jahre nach dem Beginn seines Siegeszuges um die Welt in der traditionellen tibetischen Medizin beschrieben wurde, ein Gericht aus Chilli und Käse (das ema datsi) das bhutanesische Nationalgericht wurde, und ein deutscher Arzt in einem TV-Bericht über Bhutan erklärte, der exzessive Konsum von Chilli dort wäre eines der grösseren Gesundheitsprobleme im Lande.

In China bekommt man nicht nur Hinweise auf einen möglichen Link zwischen Chilli und Kälte; man wird mit der Nase darauf gestossen. Schliesslich gelten HotPot ebenso wie warme Nudelsuppen zum Frühstück als besonders im Winter empfehlenswerte Essen. Bei meiner Reise zu den Longji-Reisterrassen in Guangxi war es ein selbstverständlicher Teil des Vortrags, den der Reiseführer hielt, auf das viele Chilli hinzuweisen. „Hier wird viel Chilli gegessen (und zum Kauf angeboten), denn die Winter sind kalt, es gibt keine Heizung – also wärmt man sich mit dem ‚Feuer‘ des Chilli.“

Die regionale Verteilung spricht ebenfalls für eine solche Beziehung: Sichuan und Hunan, die zwei bekannt „heissen“ Provinzen Chinas, in denen das Chilli überaus schnell Fuss fasste, haben zwar sehr heisse Sommer, aber auch ziemlich unangenehm kalte Winter – und wenig beheizte Häuser.

Mit dem Thema Essen ist die Beziehung auch noch nicht erschöpft. Alten Geschichten zufolge haben sich Cowboys Chillipulver in die Socken gestreut, um warme Füsse zu haben. Klingt seltsam, aber viele Rheumapflaster verwenden Capsaicin, das dem Chilli seine „Hitzigkeit“ gibt, für ihre wärmende Wirkung.

Chilli-BurnerAuch moderne Textilien (aus Japan) haben in den Stoff eingearbeitetes Capsaicin, entweder, weil dies wärmend wirken soll oder weil man meint, dies würde eine schlankmachende Wirkung haben… Schliesslich und endlich gäbe es da natürlich auch noch all die Ideen, wonach die Schärfe des Chilli und der „hitzige“ Charakter seiner Konsumenten in einer Beziehung zueinander stünden.

Der wärmende Effekt des Chilli bei kalten Temperaturen könnte ein wenig in die Irre führen, ähnlich der Wirkung von Alkohol „um sich aufzuwärmen“. Klar, der Kreislauf wird angeregt, aber man könnte schlussendlich nur noch stärker auskühlen, weil sich die Hautporen stärker öffnen. Andererseits allerdings kann man ja doch mehr Chilli essen als Alkohol trinken und erhält durch sie auch noch mehr Vitamin C als aus Zitrusfrüchten, hat also möglicherweise auf diesem Wege einen Schutz gegen Kälte … oder vielleicht nicht gegen die Kälte, aber zumindest gegen Erkältungen.

Wie auch immer, Sommer oder Winter, Chilli kann ich auf jeden Fall empfehlen.

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