Vom achtsamen Essen scharfer Chillies

Chiltepin

Stellen Sie sich vor, Sie picken eine kleine, glänzend rote Beere.

Chiltepin

Sie bringen diese langsam an Ihre Lippen, geniessen die Art, wie das Licht mit ihrer Farbe spielt, wundern sich, ob so etwas kleines jemals eine besondere Geschmackserfahrung bieten könnte.

Sie nehmen die Beere in Ihren Mund. Langsam, sanft, drücken Sie das Kügelchen gegen das Dach Ihres Gaumens und fühlen, wie es ähnlich Kaviar aufplatzt.

Gerne verzichten Sie darauf, noch eine andere zu nehmen, auch wenn Sie hungrig sein sollten, da Ihr Mund anfängt zu brennen, wohin auch immer die Säfte des Chiltepin sich weiter ausbreiten. Nur mit einiger Überwindung schaffen Sie es, zu schlucken, und das Feuer verbreitet sich noch weiter in den Rachen; es bringt gar die Augen zum tränen. Fast dreht sich alles wegen der schmerzhaften Erfahrung, einer Explosion die das tiefste Innerste erschüttert.

Dann nehmen Sie eine weitere und fangen an, Ihr Essen wirklich zu geniessen.

Ich hatte erst kürzlich den Artikel „Mindful Eating as Way to Fight Bingeing“ (Achtsames Essen als Mittel zur Bekämpfung von Fressattacken) gelesen und mich gewundert, wie sich das wohl mit den scharfen Chillies abspielen würde… und selbst der Zeitungsartikel beschäftigt sich am Rande damit, zumindest wird das Essen scharfer Würzsaucen darin erwähnt und nicht ausgeschlossen.
Eine Möglichkeit, als Loblied auf meinen geliebten Chiltepin, war das gerade eben Gelesene.

Das Thema ist durchaus ernster zu nehmen, und es erweckt zwei verschiedene Bahnen an Ideen:

Zum einen ist das die Art, wie Chillies auf sich selbst aufmerksam machen. Es stimmt schon: isst man genug der kleinen Pfefferschoten, dann wird man sich daran gewöhnen und immer mehr davon wollen – aber ein Limit, ein Chilli, das schärfer ist als man es jemals erleben möchte, wird es immer noch geben.
Keinesfalls sollte man eines der „superhot“ (superscharfen) Chillies auf die leichte Schulter nehmen – aber es ist wohl klar verständlich, wie und warum diese sich in die bewusste Aufmerksamkeit auch des unachtsamsten Essers einbrennen würden oder man ihnen eben gleich die wohlverdiente Beachtung schenkt.

Nun ja, der Buddhismus (aus dem die Idee der Achtsamkeit in täglichen Dingen stammt) mag ja von der puren Klarheit der erleuchteten Sicht der Dinge, die alle Illusionen und Anhänglichkeiten am Materiellen hinwegbrennt, sprechen – aber das seltsam-wortwörtliche (und doch nicht) Brennen der Chillies war dabei wohl nicht im Sinn gewesen.

Es gibt einen anderen, weiteren Gedankengang rund um die Achtsamkeit und das Chilli. Von diesem lenkt die übertriebene Beachtung der Schärfe, die ständige Suche nach dem nächsten Weltrekordhalter, jedoch nur ab:

Es gibt kein „Chilli“.

Nicht auf die Art und Weise, wie es in „The Matrix“ keinen Löffel gibt, sondern vielmehr, weil es stets nur das bestimmte Chilli gibt, das man zu einer bestimmten Zeit gerade konsumiert. Dieses stammt jeweils von unterschiedlicher Linie (Sorte, Landsorte, Samenlinie…) ab und kommt aus unterschiedlichen Bedingungen, und dementsprechend verschieden werden auch die Schärfen und Geschmäcker sein.

Es stimmt natürlich: Wer einfach zu scharf ist, wird so sehr mit den Schmerzen beschäftigt sein, dass die Unterschiede im Geschmack nebensächlich werden.

Von den verschiedenen Graden und Arten an Schärfe zu unterschiedlichen Aromen, Geschmäckern und Texturen erwartet den achtsamen Esser der Chillies jedoch eine ganze Welt an Erfahrungen.
Von himmlisch bis höllisch, von grasig-grün zu zuckersüss, von zitronig über apfelartig zu karottenähnlich zu was-weiss-ich-ich-will-doch-nur-dass-der-Schmerz-nachlässt zur Komplexität an Aromen in so manch einem Curry und dem vibrierend-betäubenden Brennen in einem Hot Pot erwartet den bewussten Esser, zwischen Ancho und Zimbabwe Bird, eine ganze Welt…

"Goulash"

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