Chilli-Weltrekorde – die nichts sagen

Jedes Jahr – manchmal scheint es schon eher so, als wäre es jede zweite Woche – gibt es wieder einen neuen Anwärter auf den Rang des Weltrekord-Chilli. Heisse Saucen ringen sich auch um immer höhere Schärfe. Und welche Sorten verkauft www.chileplants.com, der wahrscheinlich bekannteste Händler von Chili-Jungpflanzen in den USA, am meisten?

  1. Bhut Jolokia
  2. Trinidad Scorpion
  3. Habanero Red Savina
  4. 7 Pot and
  5. Bhut Jolokia Chocolate
Screengrab from The Simpsons (©Fox), "El Viaje Misterioso de Nuesto Jomer"

Alles Sorten, die sich mit dem Titel der „schärfsten“ schmücken, zu den „superhots“ gehören.

Wie man sich vielleicht schon denken kann, so wie ich über die „Kryptobotanik“ des Chili schreibe, betrachte ich diese Faszination als ebenso sinnvoll wie  die Suche nach dem „Guatemalan Insanity Pepper“ – eine Angelegenheit, bei der Mythologie die Tatsachen nur unnötig unklar macht. Und ich finde das nicht nur darum, weil ich mich gerne gegen landläufige Meinungen stelle…

Eines der grösseren Probleme ist das der Testprozedur. Um wirklich den genauen Capsaicingehalt – und damit die Schärfe – zu erfahren, bedarf es einer (rech teuren) high performance liquid chromatography (HPLC). Aber wie geht man diese Messung an? Schickt man einfach ein paar Pfefferschoten und lässt diese messen? Oder macht man eine Testserie um zu finden, wie sich die Sorte in Fragen verhält, egal was?

„Was“ gibt es aber genug. Chillisorten sind zumeist Lokalsorten, so dass sie schon von Haus aus eine gewisse Vielfalt zeigen sollten.

Chillis sind ausserdem ziemlich promiske Pflanzen, die sich ganz gerne miteinander kreuzen. Selbst Samen von etablierten Forschungs- und Genbanken sind oft (vor ihrer Sammlung oder sogar danach) nicht gut genug voneinander getrennt gewesen, um sich „sortenrein“ zu vermehren – falls man davon überhaupt, ausserhalb kommerzieller, professioneller Produktion sprechen kann.

Saatgut wie es von Hobby- und spezialisierten Firmen und Züchtern weitergegeben wird ist von noch zweifelhafterer „Reinheit“. Nur zu oft habe ich schon Fälle gesehen, wo das tatsächliche Chilli ganz eindeutig nichts mit der auf der Packung angegeben Variante zu tun hatte.

fatalii

Das ist noch immer nicht alles. Chillischärfe variiert oft sehr stark, je nachdem, unter welchen Bedingungen sie gewachsen sind – und sie, das sind hier nicht nur die Pflanzen, sondern unter Umständen sogar einzelne der Früchte. Ein Beispiel für solche Unterschiede findet man in dem früheren Eintrag über den unterschiedlichen Wuchs und Ertrag, der auf den Feldern von Erich Stekovics zu beobachten war. – Die meisten Chileheads haben diesen Effekt warhrscheinlich auch schon persönlich gesehen… man baut etwas Habanero an, die Bedingungen passen nicht so recht, und die Schoten sind statt scharf nur schlaff.

Man nehme alles zusammen, und die ach so-wissenschaftlich exakt klingenden Schärfegrade scheinen geradezu das Gegenteil von wissenschaftlich zu sein. Es macht schliesslich einen Unterschied, ob ein Test einer Schote eine Schärfe von 1 Million SHU (Scoville Heat Units) gefunden hat, oder ob das der Durchschnitt ist; ob die Bedingungen gerade richtig waren, oder ob die Sorte superhot ist, egal welche Wachstumsbedingungen sie hat.

Zuallermindest sind daher grössere Samples notwendig – was ja auch die University of Warwick in Bezug auf den Naga Viper erwähnte… (sh. hier). Um wirklich wissenschaftlich exakt zu sein, müsste man tatsächlich die typische Schwankung der Schärfe um den Mittelwert angeben!

Was soll’s?

Es gibt noch einen anderen Grund für Unzufriedenheit, jenseits der Fragen nach Testmethoden und andere Dinge im Hintergrund: Hat ein solcher Rekord wirklich irgendeine Bedeutung?

Wir leben wohl in einer Aufmerksamkeits-Ökonomie, in der so viel Info danach schreit, gesehen zu werden, dass nur die lautesten Botschaften durchzukommen scheinen. Natürlich zählt dazu dann auch der nächste Chilli-Schärferekord.

CharapitaIch gebe gerne zu, dass auch ich davon fasziniert bin, wie teuflisch scharf Chillis werden können. Ich lasse mich auch selbst immer wieder (jedenfalls immer, wenn ich Erich Stekovics‘ Felder besuche) zu ein wenig Machismo bewegen und kaue auf Habaneros. Ich würde superscharfe Sorten auch anbauen, schon alleine, weil man erwarten würde, sie bei mir finden zu können.

Aber, ich mache mir eben nicht viel aus ihnen. Von einem erbsengrossen Chiltepin (oder einer Charapita, wie man sie links sieht) kann man genauso „verbrannt“ werden wie von einem Habanero, von einem saftigen Rocoto ebenso wie von einem „süssen“ Paprika der sich „verliebt“ (d.h., gekreuzt) hat und unerwarteterweise doch scharf ist. 1 Million SHU oder „nur“ 500.000; beides wird schmerzen.

Was mich kümmert ist, dass dieser Schwerpunkt auf höchsten Schärfen den falschen Eindruck verstärkt, dass Chilli nur etwas für gewisse Spinner und Masochisten ist. Es gibt eine ganze kulinarische Kultur rund um verschiedene Schärfegrade und verschiedene Aromen, welche verschiedene Arten von Chilli den unterschiedlichsten Gerichten verleihen können – aber das ständige Gerede über Weltrekordschärfe bietet all jenen neue Argumente, die glauben, es würde eben nur um die Schärfe alleine gehen.

So ist es nicht. Es gibt nicht nur den Schmerz von Chillis, es gibt eine ganze Welt von Geschmack, Aroma – ja, und auch von verschiedenen Graden an Schärfe.

4 Antworten

  1. […] aber man muss sie doch mit etwas Vorsicht geniessen, insbesondere wenn schon wieder ein neuer Weltrekordhalter unter den schärfsten Chillisorten ausgerufen wird. (Nicht umsonst betrachte ich diese überhaupt als […]

  2. […] neue Rekorde im Capsaicingehalt neuer Sorten werden von Züchtern gefunden (und eventuell erfunden); ständig neue Weltrekord-Chillis werden mit offenen Armen angenommen. So scheint es […]

  3. […] Jolokia, Naga Jolokia), der erst vor wenigen Jahren für einigen Aufruhr gesorgt hatte, als er die Rekorde für das schärfste Chilli der Welt […]

  4. […] finde dieses Rennen nach dem “Weltrekord-schärfsten” Chilli immer noch einen Teil der Kryptobotanik des Chilli, nicht so sehr des Sinns seiner Nutzung. Aber […]

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