Chilli Missverständnis 5: Schärfe Nr. X

Chilli-Schärfe: Dies Chilli ist eine...

Geht es um das Chilli, dann geht es natürlich um seine Schärfe. Das ist ja schliesslich seine wesentliche Eigenschaft, also auch das, worauf man besser achtet. Es macht einen schönen Unterschied, ob man in einen Paprika ohne Schärfe beisst oder in eines der Superhots, das wie eine Stichflamme schmeckt.

Das Problem ist bloss, dass man zu diesem Zweck nur zu oft entweder einen Scoville-Schärfegrad oder einen Wert auf der 10-teiligen Schärfeskala zu hören bekommt, diese so wunderbar wissenschaftlich klingen, das aber oft ein Missverständnis ist.

Was stimmt: Die Anfänge der Schärfetestung/-bestimmung liegen mit Wilbur Scoville und seinem organoleptischen Test. Dieser bestand darin, dass man einem Panel an Testern einen Extrakt von Chilli in verschiedenen Verdünnungen vorsetzte, um festzustellen, ab welcher Verdünnung diese keine Schärfe mehr wahrnehmen konnten.

Modern verwendet man keine Testpersonen mehr (die unterschiedlich empfindlich sein werden, und das auch noch mit Schwankungen je nach Verfassung und Gewöhnung), sondern high-performance liquid chromatography, HPLC (eine Form der Chromatographie). Diese Labortestung gibt einen genauen Wert für den Capsaicingehalt, der eigentlich in American Spice Trade Association-Einheiten gemessen, aber typischerweise in die bekannteren Scoville-Einheiten umgerechnet wird.

(Interessant, aber nur am Rande erwähnenswert: Es wird gerne gesagt, dass der Capsaicingehalt gemessen wird, aber eigentlich ist es streng genommen der Gehalt an Capsaicinoiden. Es gibt davon verschiedene, die auch verschieden stark zur Schärfe – und wohl zu den verschiedenen Schärfen – beitragen; die HPLC misst eben die Capsaicinoide und gewichtet diese nach ihrem jeweiligen Beitrag zum scharfen ‚Geschmack‘.)

Klingt gut, aber stellt doch vor gewisse Probleme.

Erstens einmal ist dieser Test recht teuer und wird darum von kleineren Chilli-Anbauern kaum genutzt.

Selbst wenn eine HPLC gemacht wird, kann diese auf verschiedene Art verfälscht bzw. getäuscht werden, und selbst ein richtiger Wert ist aus einem einfachen Grund nicht unbedingt hilfreich:

Natürlich muss guten Standards entsprechend verfahren werden. Die Apparate müssen korrekt geeicht werden, die Testsubstanzen richtig vorbereitet (zum Beispiel mit den selben Mitteln zur Extraktion und Lösung). Ein besonders zu beachtender Teil der Prozedur für uns ist, dass die HPLC zur Feststellung des Capsaicinoidgehalts pro Trockenmasse genutzt wird, womit ein dünnwandigeres und kleineres Chilli für den, der es isst, wohl schärfer sein könnte als ein dickwandigeres und grösseres frisches Chilli, in dem das Capsaicin weniger konzentriert ist.

Aber schon vor dem Start der Analyse wird einiges dadurch bestimmt, wie das Chilli gesammelt wird.

Chilli von verschiedenen Pflanzen einer Sorte und zu verschiedenen Zeiten im Lauf einer Saison gesammeltes Chilli kann unterschiedlich scharf sein; eine repräsentative Messung bräuchte also eine repräsentative Auswahl. Selbst wenn gut ausgewählt wird, kann sich die Schärfe aber zwischen den Jahren noch verändern, je nachdem, wie stark sie mit klimatischen Einflüssen schwankt bzw. wie stabil sie genetisch angelegt ist. (Das bemerkt man ja auch oft genug, wenn man Saatgut für extra-scharfe – geschweige denn, mittelscharfe – Chilli kauft, diese selbst anbaut und dann keine gar so hohe Schärfe feststellt.)

So sollte also ein Mittelwert für die Schärfe ebenso festgestellt werden wie die übliche Bandbreite, damit man sowohl die übliche Schärfe dieser Sorte (jedenfalls in jenem Jahr, jener Situation) angibt, als auch die zu erwartende Schwankung. (Und dann stellt sich noch die Frage, wie stabil diese Schärfeproduktion über verschiedene Generationen hinweg sein wird bzw. ob das Saatgut rein produziert oder verkreuzt wurde.)

Alles in allem sind die SHU (Scoville Heat Units) so eben oft ein Fall von „Lügen, verdammte Lügen – und Statistik“. Natürlich haben sie eine Aussagekraft, aber man muss sie doch mit etwas Vorsicht geniessen, insbesondere wenn schon wieder ein neuer Weltrekordhalter unter den schärfsten Chillisorten ausgerufen wird. (Nicht umsonst betrachte ich diese überhaupt als Kryptobotanik.)

Schlussendlich ist es ausserdem nicht der Schärfegrad, sondern der Geschmackssinn des Essers und die Nutzbarkeit für die gewünschte Zubereitung, worum es geht. Nur zu viele Leute scheinen, gerade dank des Fokus auf Schärfegraden, in dem Rennen nach immer noch schärferen Chilli gefangen zu sein, aber der Genuss liegt nicht in Messwerten, sondern im guten Kochen und Essen.

Chilli-Schärfe: Dies Chilli ist eine...

Ähnliche Effekte wie bei der HPLC beeinflussen natürlich auch die beliebte 10er-Skala:

Was es wirklich sagt, wenn jemand ein Chilli im Brustton der Überzeugung als „eine 7“ deklariert, das ist, dass er sich mit der Physiologie der Schärfe nicht auskennt.
Wie gesagt werden ja die Pflanzen Früchte mit unterschiedlicher Schärfe produzieren, innerhalb wie zwischen Saisonen und je nach Bedingungen. Leute, die kosten – und die Skala von 0-10 basiert ja grossteils auf Kostern – sind dazu noch notorisch ungenau. Nimmt man beides zusammen, dann kann man richtigerweise nur noch von einer Chillisorte mit einer Schärfe zwischen, zum Beispiel, „5 und 8“ sprechen.
Diese Feststellung der Schärfe ist keine exakte Wissenschaft – oder eigentlich beginnt die Exaktheit der Wissenschaft (sh. oben) hier eben erst dann, wenn man eine Bandbreite bestimmt.

Die Superhots, bei welchen ja gerade stets die „exakte“ Schärfe angegeben sein will, sind auch darum ein besonders schlechter Fall, weil Schärfegrade über 300,000 Einheiten (also ab Habanero) für die meisten Menschen ohnehin nur noch schmerzhaft sind. Selbst für den einigermassen schmerzerfahrenen Chilliesser werden höhere Schärfen nicht mehr wirklich unterscheidbar.

Beim Blick auf die 10er-Skala sind das dann die Sorten, bei welchen unbedingt gewusst werden will, ob das nun eine 10++++ oder doch nur eine 10++ ist. Was das zeigt ist aber nur, wo das eindeutige Limit dieser Skala liegt – und das Missverständnis, dass es nur um die Schärfe ginge.

Aus all diesen Gründen predige ich schon seit Jahren, dass es viel mehr Sinn macht, einfach zwischen Chilli ohne Schärfe (d.h. Paprika), etwas scharfem und echt scharfem Chilli zu unterscheiden.

Natürlich gibt es innerhalb dieser Gruppen noch weitere Unterschiede. Ohne die (scheinbar) exakte Schärfeangabe wird es aber einfach deutlicher, dass man selbst austesten muss, wie scharf das Chilli wurde und wie man darauf reagiert, anstatt sich von der vorgetäuschten Sicherheit einer Zahl einlullen zu lassen.

6 Antworten

  1. […] statt den üblichen Scoville-Einheiten oder 10er-Skalen – hinter denen sich aber nur zu oft mehr Missverständnisse als Exaktheiten verstecken, weswegen eben eine so “ungenaue” Einteilung ihre grossen Vorteile […]

  2. […] Dumm nur, wenn “von den Experten” (so ich mich an die Passage im Beitrag richtig erinnere) die Schärfe auf einer Skala von 1-10 angegeben werden soll (und mit 1 als Wert für die unscharfen ‘Früchte’). Sorry, aber: Was?!? Wie?!? Dann lobe ich mir schon das ewige Getue rund um vorgeblich so exakte Scoville-Messungen… […]

  3. […] nichts vom Chilli weiss, der verlässt sich halt auf irgendeinen gut klingenden Wert – und was würde besser klingen als “Schärfe: 10 – neuer […]

  4. […] “genauen” Schärfeangaben anhand von Schärfegraden oder Scoville-Einheiten sind darum, gerade bei diesen Varianten von Chilli, so wie die Früchte selbst, mit Vorsicht zu […]

  5. […] „genauen“ Schärfeangaben anhand von Schärfegraden oder Scoville-Einheiten sind darum, gerade bei diesen Varianten von Chilli, so wie die Früchte selbst, mit Vorsicht zu […]

  6. […] den üblichen Scoville-Einheiten oder 10er-Skalen – hinter denen sich aber nur zu oft mehr Missverständnisse als Exaktheiten verstecken, weswegen eben eine so „ungenaue“ Einteilung ihre grossen Vorteile […]

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