Bourdain, Bhutan und die versteckte Welt der ‚Pfeffer‘

In der nun zur letzten fertigen gewordenen Episode der CNN-Serie „Parts Unknown“ mit Anthony Bourdain tat er sich mit Regisseur Darren Aronofsky zusammen, um zu reisen und zu essen – in Bhutan.

Der Schock

Es ist genau die Art von Episode, die Bourdains Selbstmord auch für mich zu so einem Schock gemacht hat.

Ich bin kein Freund von Heldenverklärung, aber das ist genau die Art von Reise, auf die ich mich selbst gerne begeben würde.
Nicht der Suizid, sondern Bhutan…

Dieselbe Episode zeigt für mich allerdings auch, wie mein Fokus auf scharfen Gewürzen und (anderen) starken Aromen in solchen Geschichten immer noch fehlt. Sieht man sich die Folge an, dann sollte man bemerken, dass Schärfe oft erwähnt wird.

Vom ersten Mahl an Momo, das Bourdain und Aronofsky geniessen, ist „Das ist scharf“ oft zu hören.
Chilli sind ständig wieder zu sehen.
Sichuanpfeffer wird erwähnt.

Die Geschmacksnerven unserer Reisenden erhalten eindeutig einen etwas scharfen Schock.

Bhutanesisches Chilli Ema Mapa
Bhutanesisches Chilli Ema Mapa

Das Versteckte Offensichtliche

All diese starken Aromen werden aber nur im Hintergrund erwähnt.

Sie bestimmen den Charakter der Speisen, wenn nicht der ganzen Küche, aber sie sind so offensichtlich und oft vertreten, dass sie keine Aufmerksamkeit erhalten und nicht genauer betrachtet werden.

Auf jeden Fall erhalten sie weniger Aufmerksamkeit als die hölzernen Phalli, die sich für Witzeleien anbieten und im ‚Westen‘ selten genug sind, um lange Gesprächsstoff zu bieten.

Bhutan und seine Chilliküche, dazu noch die Rolle des Sichuanpfeffers dort, sind schon lange von Interesse für mich.

Genug jedenfalls, dass ich schon einmal Saatgut für Chili aus Bhutan gefunden und diese angebaut hatte.
Mehr als genug Interesse, dass ich nur zu gerne einmal nach Bhutan reisen und mehr über die starken Aromen dort herausfinden und berichten würde, könnte ich bloss irgendwie das notwendige Geld dafür zusammenbekommen.

(„Ich bin halt aber kein Anthony Bourdain“ war der übliche Gedanke in dem Zusammenhang. Bis zu jenem Tag, an dem sein Leben plötzlich nicht mehr so schön gewesen zu sein schien, er noch mehr Probleme gehabt zu haben scheint, als irgend jemand gesehen hatte…)

Zumindest aber kann ich, im Sinne von #Mikroexploration, überprüfen, ob meine noch vorhandenen Samen solchen Chillis noch keimfähig sind. (Eine bhutanesische ‚Sorte‘ habe ich jedenfalls auch dieses Jahr schon im Anbau.)

Und ich kann von meinen ‚Forschungen‘ in die Rolle scharfer Gewürze in Bhutan, die verborgene Welt der „Pfeffer“ dort, berichten – auch wenn diese bisher nur bücherbasiert stattfinden konnte.

Bhutanesisches Chili Bangala
Bhutanesisches Chili Bangala

Bhutan, Königreich der „Pfeffer“

Es ist eigentlich etwas absurd, dass wir so wenig über die Rolle des Chilli in Bhutan wissen.

Wir verbinden Chilli einfach zu sehr mit tropischen Ländern und vergessen auf die Berge, haben zu viele berühmte Beispiele für „scharfe“ Küchen, um an ein so kleines und ‚verstecktes‘ Land wie Bhutan zu denken, wenn es um das Chilli geht.

Bhutan ist aber ein, wenn nicht das, Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Chilli. Ein, wenn nicht das, Nationalgericht ist Ema Datsi (oder Datshi), nichts als eine Art Eintopf aus Chilli und Käse.

Es gibt so auch verschiedene Varietäten an Chilli, die hier angebaut und verwendet werden, die zumindest teilweise aus verschiedenen Teilen des Landes stammen, aber ‚Chilli ist [ohnehin] omnipräsent in der bhutanesischen Küche.‘

Schon unter den Varietäten, die ich angebaut hatte, waren:

  • Begup Ema
  • Ema Mapa
  • Urka Bangla
  • Bangala
  • Ema
  • Sha Ema

Man kommt hier aber gleich wieder zu einem der typischen Probleme.

Manche dieser Namen kann man unter Erklärungen, welche Formen von Chilli in Bhutan angebaut werden, finden.

Mit anderen allerdings ist nicht einmal so klar, was die Namen überhaupt bedeuten sollen.

Und Ema ist ohnehin nichts anderes als das bhutanesische (Dzongkha) Wort für Chilli, das „Ema“ oben ist also eigentlich kein Name, sondern sagt nur, dass man von dem Chilli als Chilli spricht…

Bhutanesisches Chilli Solo
Bhutanesisches Chilli Solo

Nutzen von ‚Pfeffern‘ in Bhutan

Tatsächlich ‚halten bhutanesische Köche Salz und Chilli für gleich wichtig für ein Essen‘…‘Egal, welches Essen gegessen wird, die wichtigste Frage ist ‚Tsa da ema bjonoga?‘ (Ist darin genug Salz und Chilli?)‘ *

Faszinierenderweise ist Bhutan auch ein Land, in dem Chilli verbrannt wird, um böse Geister zu vertreiben.
Und ein Land, in dem auch „weisses Chilli“ produziert wird.

Schliesslich und endlich ist nicht nur Chilli hier aufzufinden, sondern auch Sichuanpfeffer (Thingnay auf Bhutanesisch/Dzongkha).

Sogar zwei Arten soll es hier geben, die wie üblich verwendet werden, um bestimmte Gerichte mit dem typischen vibrierend-betäubenden Effekt und zitronigem Aroma aufzupeppen.

Interessanterweise allerdings wird gesagt, dass er zu Rettich und Kürbis, Leber und Wurst essentiell wäre, aber nicht üblicherweise mit Fleischgerichten verwendet würde.

Der Aufstieg des Chilli

So nahe wie Bhutan kulturell wie geographisch an Tibet liegt, ist das alles nicht nur für die moderne kulturelle und kulinarische Bedeutung des Chilli faszinierend, sondern auch für seine historische Verbreitung:

Eine meiner grossen Faszinationen ist das Auftauchen von Chilli in einem tibetischen Pharmazietext um 1750, kaum 250 Jahre nachdem es erstmals überhaupt aus Amerika hinaus kam.

Dass eine Pflanze sich in einer solchen Zeit nicht nur ausbreiten, sondern auch in eine traditionelle Medizin integrieren konnte, das ist kaum zu glauben.

Chilli allerdings schaffte das so schnell, dass es am Weg auch gleich die frühen europäischen Botaniker dazu brachte, es für ein in Indien bzw. China heimisches Gewächs zu halten.

Bhutanesisches Chilli Urka Bangla
Bhutanesisches Chilli Urka Bangla

Berge von ‚Feuer‘

Eine weitere kulturelle Beziehung des Chilli, die mich fasziniert, versteckt sich in dieser Geschichte: Bhutan hat seine (sub)tropischen Bereiche, wo das Chilli oft vermutet wird. Das Land hat aber auch genug höher gelegene Gebiete – und auch dort ist das Chilli beliebt.

Auf eine solche Beziehung von Bergregionen und dem Chilli bin ich schon oft gestossen.

Tatsächlich kann man Berichte darüber bis hin zur ersten Begegnung von Europäern mit dem Chilli zurückverfolgen, zu Kolumbus‘ erster Reise. In Ostasien (und dem Himalaya) scheint diese Beziehung besonders stark zu sein.

Es ist aber auch eine Beziehung, die fast komplett unerforscht ist…

Forschung zur Nutzung des Chilli findet immer noch bloss, dass es besonders in den Tropen und besonders in Fleischgerichten verwendet wird. Das macht es einfach, zu argumentieren, es müsste als Hilfsmittel gegen Mikroben (im Fleisch), die bei der dortigen Hitze problematischer sind, wirken.

Betrachtet man allerdings den Himalaya und die Bergregionen Chinas, hört man auf die Menschen dort, dann gibt es eine andere Geschichte von Bergen, kalten Wintern, heiss-schwülen Sommern und der Fähigkeit des Chilli, damit zu helfen.

Noch dazu kann man auch eine „Prä-Adaptation“ durch den Sichuanpfeffer vermuten (dass also lokale Küchen schon etwas scharf waren, durch den heimischen Sichuanpfeffer, und darum schon darauf vorbereitet waren, durch Chilli dann echt scharf zu werden).

Geschichten zu erzählen…

Diese Geschichten warten noch darauf, sinnvoll erzählt zu werden. Sie werden meist nicht einmal als Geschichten, die erzählt werden sollten, erkannt. Als Bergläufer, „Mikroexplorer“ und Gärtner-Koch allerdings (er)kenne ich sie.

Gerade in Erinnerung an Anthony Bourdain, der das Besondere im Alltäglichen und das Alltägliche im Fremden und angeblich Seltsamen so vielen Menschen näher gebracht hat, möchte ich Chancen zum Erzählen dieser Geschichten umso mehr schaffen.

Mal sehen, ob und wie mir das gelingen wird. Und wer sonst eine Geschichte zu erzählen hat, der erzähle.

Beziehungen. Das ist es, warum Anthony Bourdain so viele Menschen berührt hat. Weil er Beziehungen aufbauen konnte. Geschichten zu erzählen hatte und Geschichten zuhörte. Egal, mit wem und wo.

 

*Wer mehr lernen möchte, der findet das beste Buch über Esskultur in Bhutan (aus dem auch die oben genannten Erklärungen über die bhutanesische Küche stammen) in: Chilli and Cheese. Food and Society in Bhutan[Amazon Affiliate-Link, der mir ein paar Cent bringen würde, allerdings kann man sich das Buch wahrscheinlich ohnehin nicht leisten, es scheint hier nur von speziellen Händlern und viel zu teuer erhältlich] von Kunzang Choden, publiziert von White Lotus Press, Bangkok, Thailand, 2008

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